Grau und grün flog die Landschaft an ihr vorbei, ein hypnotischer
Wirbel aus torfigen Hügeln und schwarzen Seen unter einem grauen,
schweren Himmel. Sie wusste nicht mehr, wie lange sie schon unterwegs
war, wie lange sie jeden Stein unter den Rädern der Kutsche nur noch
als dumpfen Schlag spürte, der es ihr unmöglich machte, etwas zu
lesen oder gar eine Handarbeit anzufangen. Mit den Mitreisenden, die
hier und da zugestiegen waren, und lediglich einen fragenden Blick
auf ihren Gehstock geworfen hatten, hatte sie kaum ein Wort
gewechselt.
Was hätte man mit einer wie mir auch
reden sollen. Ich weiß, wie ich aussehe, dass ich keine „elegante
Erscheinung“ bin oder einen Hauch von „Großer, weiter Welt“ an
mir habe. Ich saß nur stumm in meiner Ecke im Wagen und starrte auf
die Landschaft hinaus. Wohin meine Gedanken flogen, geht niemanden
etwas an. Was ich zu sagen habe, interessierte keinen – also warum
hätte jemand sich die Mühe machen sollen, mit mir eine Konversation
zu beginnen. Hätte jemand mit Jane Eyre zu plaudern begonnen, als
sie auf dem Weg nach Thornfield war? Wer hätte also mit Mildred
Wiseman reden sollen, während sie auf dem Weg nach Castle Mar war.
Seit
der kurzen Rast zu Mittag, bei der man ihr lediglich eine ranzig
schmeckende Pastete und schalen Wein vom Vortag vorgesetzt hatte,
hatte sie den Wagen nicht mehr verlassen. Der Kutscher hatte offenbar
eine Vorliebe für den schlechten Wein des Wirts gehabt und es nach
der Rast kaum noch auf den Kutschbock geschafft, während allein die
Pferde offenbar sehr zufrieden mit ihrer Verpflegung waren und
fröhlich weiter trabten ohne auf die Lenkversuche ihres Herrn zu
achten.
Müde starrte ich aus dem Fester und
fragte mich, wie lange es noch dauern würde, bis wir endlich Castle
Mar erreichten. Ich hatte wenig Lust, noch eine weitere Nacht in
einem Gasthaus an der Straße verbringen zu müssen, zumal ich
ohnehin kaum mehr ein paar Pfund bei mir hatte und auf den Genuss
ungewaschener Bettwäsche durchaus verzichten konnte; außerdem
freute ich mich darauf, endlich meine neue Stellung anzutreten. Egal
wie anstrengend die Arbeit sein würde, es war etwas Neues, ein Hauch
von Freiheit, den ich nach den langen Jahren in St. Claires nicht
vorüberziehen lassen wollte. Allerdings hatte ich kaum Einfluss auf
den Zustand der Straße und meines Fahrers und mir blieb nichts
anderes übrig, als mich gottergeben beidem anzuvertrauen und auf das
Beste zu hoffen.
Nachdem ich mit etwa neunzehn Jahren mein
Elternhaus verlassen hatte, um für ein paar Monate bei einer
bekannten Familie als Gouvernante tätig zu sein, ehe sie nach Wien
zurückzogen, hatte ich mein Zuhause nicht mehr betreten;
wahrscheinlich fiel es mir deshalb so leicht, die vertraute Enge von
St. Claires gegen die unbekannte Weite einer schottischen Grafschaft
einzutauschen. Ich weiß, dass mein Vater froh gewesen war, mich
endlich aus dem Haus zu haben, immerhin war es ihm immer ein bisschen
peinlich gewesen, wenn seine Gäste mich zu Gesicht bekamen – und
so sehr ich mich auch bemühte, ich konnte mich nicht vollkommen
unsichtbar machen.
Über Ideen, konstruktive Kritik oder schlicht Feedback würde ich mich freuen :)
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